„Heute geht es endlich mal um die neuere Geschichte Japans“, sage ich zu Markus als wir im Bus Richtung Innenstadt von Hiroshima sitzen. Ging es doch bis jetzt immer um jahrhundertealte Tempel, Schreine und Burgen, fahren wir heute zu einem Schauplatz des 2. Weltkriegs, dessen tragisches Schicksal weltbekannt ist. Und wenn man an Hiroshima denkt, hat man sicher sofort den Atom Bomb Dome vor Augen, eines der wenigen, überlebenden Gebäude ca. 160 Meter vom Epizentrum der Einschlagstelle der Atombombe entfernt – und genau mit diesem ikonischen Symbol dieses traurigen Tages starten wir in die Tour. Ein bisschen ungläubig schaue ich auf den geschmolzenen Beton- und Stahlbau und kann es nicht ganz realisieren, dass ich tatsächlich gerade vor einem so historischen Ort stehe, den ich bisher nur aus Dokumentationen und dem Geschichtsunterricht kenne. Unser heutiger Guide (Hiro) ist von seiner Pollenallergie gegen Zedern (haben ca. 40% der Japaner*innen) stark beeinträchtigt und entschuldigt sich gleich zu Beginn der Tour, dass er sich ab und zu schnäuzen muss und er uns bittet dann einfach „wo anders hinzuschauen“. Dazu wussten wir aus unserem Buch „Fettnäpfen in Japan“, dass sich Japaner*innen vor allen Körperflüssigkeiten (fremde wie eigene) ekeln und darum lieber stundenlang geräuschvoll die Nase hochziehen als sich einmal kräftig zu schnäuzen. Das Naseschnäuzen gilt also als nicht-gesellschaftsfähiges Verhalten, wofür sich Japaner schämen. Aber wenn die Not zu groß wird, wird auch diese Regel gebrochen, wie heute von Hiro. Leider treiben seine teilweise fehlenden Englischkenntnisse Juli zur Verzweiflung, da er durchwegs mehr Zeit mit der Suche nach Wörtern verbringt als mit der eigentlichen Geschichte. Sein Wissen zu teilen wird zur nächsten Problematik, als er an unserem ersten Stopp tatsächlich sein Mikrofon im Bus vergisst. Das bedeutet für uns, kaum/keine Erklärungen im Peace Memorial Park und auch keine Kommunikation im Hiroshima Museum. Gut, dass wir uns jeden Tag mit unseren beiden Reiseführern vorab informieren. Das Friedensdenkmal für die verstorbenen Kinder ist ein trauriger und gleichzeitig mutmachender Ort, denn jedes Jahr senden Kinder aus dem ganzen Land Papierkraniche und Kunstprojekte dort hin, welche darauf hinweisen sollen, wie essenziell Frieden auf der Welt ist. Das Friedensdenkmal der Opfer bereitet Markus eine Gänsehaut, denn es führt einem vor Augen, wie selbstzerstörerisch wir Menschen sind. Sehr symbolträchtig ist auch die berühmte Friedensflamme, die erst gelöscht wird, wenn die letzte Nuklearwaffe auf der Welt zerstört wurde. Wir fürchten, dass wir diesen Tag wohl beide nicht erleben werden.
Im Museum bekommen wir einen krassen Eindruck von der damaligen Zerstörung und dem Leid der Menschen vermittelt. Das eigentliche Ziel der ersten Bombe war eine T-förmige Brücke, die um 160m verfehlt wurde und eine kleine Klinik traf. Und der geplante Abwurf einer zweiten Bombe auf den Nachbarhafen mit der Kriegsschiffswerft fand aufgrund von schlechtem Wetter nicht statt. In den ersten 5 Monaten sterben allein 140.000 Menschen an den Folgen ihrer Verletzungen. Insgesamt gibt es etwa 300.000 Opfer, deren Tod auf den Bombeneinschlag zurückzuführen ist und deren Namen in einem Buch dokumentiert werden, das unter dem Denkmal verwahrt ist. Die Bilder im Museum zeigen den Schrecken der Zerstörung. Die eindrücklichsten Bilder sind jedoch weniger die echten Bildaufnahmen oder die aufbewahrten Überreste von Kleidung oder geschmolzenen Flaschen – es sind die Zeichnungen von Zeitzeugen und die dazugehörigen Geschichten von Leid und Verfall.
Nach dieser schweren Kost freuen wir uns auf unser japanisches Mittagessen in einem Hotel – nicht schlecht, aber auch nichts Besonderes, ein paar gute Happen Sashimi – bevor es auf die Fähre nach Miyajima, der kleinen Insel unweit von Hiroshima geht. Die ganze Insel ist ein heiliger und weit erfreulicherer Ort, der unsere Stimmung wieder hebt. Das dort direkt im Wasser stehende Tori ist eines der bekanntesten Bilder von japanischen Torii und zieht zusammen mit dem großen Itsukushima-Schrein Unmengen an Japanern und Touristen an diesen Ort. Bereits bei der Überfahrt mit der Fähre bietet sich uns ein toller Blick auf die Insel. An Land erwarten uns zahme Rehe zum Streicheln, wundervolle Kirschblüten und einige sehr schöne Fotospots, die wir für Erinnerungen nutzen können. Nach dem offiziellen Rundgang im Schrein haben wir noch etwas Freizeit und kaufen uns an einem winzigen Stand „Momiji manju Eis“, eine lokale Spezialität aus einer ahornblattförmigen Waffel, die mit Eis (Vanille und Kirsche für uns) und roter Bohnenpaste gefüllt ist. Wir wandern und genießen die frühlingshafte Atmosphäre, die Bäume, Marktstände und schaffen auch ein paar Bilder mit den Rehen einzufangen. Die Abreise mit der Fähre endet wieder am Bus und wir sind gegen 18:00 am Schiff.